Das Betreuungsprogramm ist eine Zusammenstellung von Dienstleistungen, die ausgewählt wurde um das Leben des Patienten und seinen betreuenden Angehörigen so erträglich wie möglich zu machen.
Eine Dienstleistung muss idealerweise:
- dem Patienten nutzen, Freude bereiten oder beides
- die betreuenden Angehörigen entlasten
- finanziell tragbar sein
Die Dienstleistungsanbieter im Markt erbringen mehrheitlich entgeltliche Dienstleistungen. Diese Kosten können von Behörden, Stiftungen und andere Organisationen übernommen oder vergünstigt werden. Aida Care zum Beispiel bietet im Zürcher Unterland Demenzbegleitung an, die von den angeschlossenen Gemeinden finanziert wird. Im Kanton Aargau gibt es diese Dienstleistung flächendeckend und finanziert aus einem speziellen Fonds von der Pro Senectute Aargau.
Unentgeltliche Dienstleistungen werden meistens von Privaten erbracht, wie die Gebenden der Genossenschaft KISS in Uster.
https://www.kiss-zeit.ch/index.php/home-kiss-uster.html
Wenn Betroffenen nicht die finanziellen Mittel für kostenpflichtige Dienstleistungen aufbringen können, sind die kostenlose Dienstleister für viele Betroffenen eine äusserst willkommene Entlastung.
Ob sich eine bestimmte Dienstleistung eignet, hängt von mehreren Faktoren ab wie das Stadium der Demenz, das Alter, Geschlecht, soziales Umfeld, Herkunft, Religion, finanzielle Möglichkeiten.
Um teures und frustrierendes Experimentieren zu minimieren, kann die nachfolgende Tabelle eine Hilfe sein.
Element | Erklärung | Bemerkung | |
---|---|---|---|
1 | Veranstalter | Instanz die die Dienstleistung erbringt | • Organisation, Verein, Einzelperson • Anerkennung im Demenzumfeld |
2 | Beschreibung | Aktivitäten die die Dienstleistung beinhaltet | |
3 | Ziel der Dienstleistung | Was soll mit der Dienstleistung bezweckt werden | |
4 | Zielgruppe | Für welche Patientenprofile wird die Dienstleistung angeboten | Problematik des „Wohlfühlfaktors“ bei Patienten mit grossen Unterschieden im Profil z.B. Alter, Stadium) |
5 | Dauer der Dienstleistung | Zeit in der der Patient beschäftigt ist | |
6 | Kosten der Dienstleistung | Betrag den der Dienstleister dem Patienten in Rechnung stellt | |
7 | Fremdfinanzierung der Dienstleistung | Beiträge von Behörden, Stiftungen, etc. zum Bezug der Dienstleistung | |
8 | Transport | Braucht der Patient Transport und wer erbringt ihn | • Kein Transport • Eigentransport • Fremdtransport |
9 | Transportdauer | Wie lange dauert der Transport | Bei Fremdtransport ist die Transportzeit Teil der Regenerationszeit, bei Eigentransport nicht |
10 | Transportkosten | Betrag den der Transporteur dem Patienten in Rechnung stellt | Bei Transport mit eigenem Fahrzeug sollten realistische Kilometerkosten berücksichtigt werden z.B.CHF 0.70/Km |
11 | Total Kosten | Dienstleistungskosten + Transportkosten - Fremdfinanzierung | |
12 | Regenerationszeit | Zeit in dem die Angehörigen sich aufgrund des Dienstleistungsbezug nicht aktiv mit dem Patienten zu beschäftigen brauchen | |
13 | Regenerationskosten pro Stunde | Total Kosten/ Regenerationszeit | |
14 | Wie gefällt es dem Patienten? | Empfinden des Patienten nach dem Bezug der Dienstleistung | Freut er sich auf das nächste Mal oder muss er für das nächste Mal überredet werden? Wie nutzt es dem Patienten? |
Die Punkte 1 bis 7 muss der Anbieter liefern, die Betroffenen klären für ihre Situation die Punkte 8 bis 14.
Weil viele Dienstleister chronisch mit finanziellen Problemen kämpfen, ist die Verlockung gross, auch Patienten betreuen zu wollen für die die Dienstleistung nicht so geeignet ist aber mit ihrem finanziellen Beitrag den Betrieb aufrechterhalten helfen können.
Entlastung der betreuenden Angehörigen
Während die Bedürfnisse des Patienten aufgrund des Krankheitsverlaufs abnehmen, steigt der Anspruch an die betreuenden Angehörigen. Somit steigt auch die Notwendigkeit deren Entlastung. Die durch die Betreuung des Patienten empfundene Belastung ist sehr individuell und hängt von mehreren Faktoren ab. Das Alter zum Zeitpunkt der Diagnose und der Lebenslauf des Patienten haben einen starken Einfluss auf die zu planenden Betreuung. Es macht einen grossen Unterschied ob die Diagnose mitten in ein aktives Leben reinplatzt oder im Alter von z.B. 85 Jahren gestellt wird. Bei einem anspruchsvollen Werdegang, ob technisch, geisteswissenschaftlich oder künstlerisch, ist die Ausgangslage um einiges schwieriger als bei einem Werdegang wo die kognitiven Fähigkeiten nicht so beansprucht wurden. Und dann sind da noch die finanziellen Möglichkeiten. All diese Faktoren sollten dem Patientenprofil entnommen werden können. Schwieriger ist die Einschätzung der individuellen Belastbarkeit der betreuenden Angehörigen sowie die Intensität der Beziehung zwischen ihnen und dem Patienten. Pflichtgefühl und soziale Verantwortung können leicht zu einem schlechten Gewissen oder zur Selbstüberschätzung führen, was fatal sein kann. Die Gesundheit der betreuenden Angehörigen ist die wichtigste Voraussetzung für eine funktionierende Gesamtbetreuung. Die Fähigkeit das Emotionale und Rationale zu trennen ist eine grosse Hilfe und gibt den betreuenden Angehörigen eine gewisse Robustheit.
Was kann für Betreuenden als Entlastung bzw. Regeneration empfunden werden?
- Zeitliches und örtliches uneingeschränktes Verweilen ohne Verpflichtungen
- Besuche des Patienten bei Dritten
- Spaziergänge, Einkaufen mit Dritten
- Unterhaltung des Patienten zu Hause durch Dritte (Gespräche, Vorlesen, etc.)
- Therapeutische Betreuung des Patienten zu Hause durch Dritte
- Medizinische Betreuung zu Hause durch Dritte
- Körperliche Betreuung des Patienten zu Hause durch Dritte (z.B. An-/Ausziehen, Kleiderwahl, Körperpflege)
- Transport durch Dritte
- Mahlzeitenunterstützung
- Hilfe im Haushalt
- Reinigungsdienst
Die Betreuung durch Dritte im Haus oder ausser Haus kann als unterschiedlich intensive Regeneration empfunden werden. Die Betreuung ausser Haus ist näher an Punkt 1 als die Betreuung im Haus. Das totale Abschalten, wie in Punkt 1 formuliert, ist weniger einfach wenn der Angehörige sich in einem Zimmer befindet und der Patient in unmittelbarer Nähe fremdbetreut wird. Auch die Dauer ist ein wesentlicher Faktor. Abhängig vom Demenzstadium kann die Regenerationszeit umso wirkungsvoller empfunden werden je länger sie dauert. Im Stadium 6 helfen 2 Stunden abschalten dem Betreuenden wenig.
Die nächste Tabelle zeigt wie ein Betreuungsprogramm unter Einbezug der für Patient und betreuenden Angehörigen wesentlichen Fakten gestaltet werden kann.
Dienstleistung | Dauer | Transport in Min | Kosten Teilnahme | Transport- kosten (Auto CHF 0.70/Km) | Regenerations- zeit | Kosten Regeneration- stunde |
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Montag | |||||||
Dienstag | |||||||
Mittwoch | |||||||
Donnerstag | |||||||
Freitag | - | ||||||
Samstag | |||||||
Sonntag |
Erklärung der Spalten:
- Spalte 1 Wochentage
Spalte 2: Kurzbeschreibung der beanspruchte Dienstleistung - Spalte 3: Dauer der Dienstleistung in Minuten
(evt. mit Anfangs- und Schlusszeitpunkt) - Spalte 4: Dauer des Transports in Minuten und ob Eigen- oder Fremdtransport
- Spalte 5: Kosten für den Bezug der Dienstleistung
- Spalte 6: Transportkosten
Autokilometer werden mit CHF 0.70/KM verrechnet egal ob Fremd-
oder Eigentransport - Spalte 7: Regenerationszeit
Anzahl Stunden in der sich der pflegende Angehörige keine Gedanken
um das Wohl des Patienten zu machen braucht - Spalte 8: Kosten für eine Stunde Regeneration
Totale Kosten für den Dienstleistungsbezug / Anzahl Regenerations-
stunden
Die nächste Tabelle zeigt das Beispiel eines möglichen Betreuungsprogramms einer Woche für eine Person im Demenzstadium 4
Beschreibung Demenzstadium 4 (Barry Reisberg):
Im weiteren Verlauf sind die kognitiven Störungen deutlich merkbar. Die betroffene Person hat Schwierigkeiten, komplexe Aufgaben selbstständig durchzuführen, z.B. ein Gericht zubereiten, mit Geld umgehen. Sich in gewohnten Orten zurechtzufinden macht Probleme. Die erkrankte Person leidet psychisch unter dem Verlust ihrer Fähigkeiten und ihrer Selbstständigkeit. Als Reaktion werden oft Defizite geleugnet und Fehler anderen zugewiesen. Ein verändertes Verhalten kann auch Selbstschutz sein. Depressionen können entstehen. Viele Fähigkeiten sind jedoch vorhanden. Die Förderung selbstständiger Aktivitäten hilft, das Selbstbewusstsein zu stärken. Vonseiten der sozialen Umgebung (Familie, Partner, Pflegekräfte etc.) vermittelt ein verständnisvolles Verhalten Sicherheit.
Dienstleistung | Dauer in Min | Transport in Min | Kosten Teilnahme | Transportkosten (Auto CHF 0.70/KM) | Regenerations- zeit | Kosten Regenerations- stunde |
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Montag | Musiktherapie | 60 | Eigen hin und zurück 40 | CHF 25 für Mitglieder | 40 x CHF 0.70 = CHF 28.- | 20 Minuten hin und 20 Minuten zurück bei einer Dauer von 60 Minuten ist eher Stress als Regeneration | |
Dienstag | Alzheimer Gipfeltreffen | Eigen hin und zurück 30 | Mittagessen CHF 20 Betreuung CHF 75 Fremdfinanzierung CHF 25 Eigenfinanzierung CHF 70 | 10 x CHF 0.70 = CHF 7.- | 5 Std – 0.5 Std Transportzeit = 4.5 Std | CHF 77/4.5 = CHF 17.10 | |
Mittwoch | Eigenbetreuung | ||||||
Donnerstag | Malen und Gestalten zu Hause mit professioneller Begleitung | 90 | ------- | 150.- inklusive Material einrichten und aufräumen. 50.- inklusive Material einrichten und aufräumen. Fremdfinanzierung: Komplementärmedizinische Zusatzversicherungen beteiligen sich je nach Krankenkasse an den Kosten | CHF 14.- | 1.5 Stunden | CHF 164/1.5 = CHF109 |
Freitag | Betreuung durch Freiwilligen | 360 | 10 | Die Genossenschaft KISS hat einen Pool von Freiwilligen die kostenlose Betreuungshilfe leisten | CHF 7.- | 4 Stunden. Die Transportzeit ist vernachlässigbar | CHF 7/4 = CHF 1.75 |
Samstag | Eigenbetreuung | ||||||
Sonntag | Eigenbetreuung |
Die Tabelle zeigt, dass bereits in diesem Stadium die Kosten für eine nicht allzu langweilige Betreuung erheblich sind. Die Gesamtkosten für eine Woche betragen CHF 68 + CHF 97 + CHF 186 = CHF 330.75.
Pro Monat sind das etwas mehr als CHF 1325.
Ergotherapie, kognitives Training, Verhaltenstherapie, Musiktherapie, Millieutherapie, Kunsttherapie, Realitätsorientierung und Biographiearbeit werden alle von fachkundigen Dienstleistern angeboten, die das entgeltlich machen. Um hier aus dem Vollen schöpfen zu können, braucht es schon ein recht anständiges Monatseinkommen oder ein robustes Bankkonto. Mit fortschreitender Krankheit noch besser beides. Weil der Patient in diesem Stadium doch noch einiges selber machen kann, sollte die Regenerationszeit für die betreuenden Angehörigen noch keine so grosse Rolle spielen.
Die nächste Tabelle zeigt das Beispiel eines möglichen Betreuungsprogramms einer Woche für eine Person im Demenzstadium 6
Beschreibung Stadium 6 (Barry Reisberg):
Die Fähigkeit, Basisaktivitäten durchführen zu können, geht verloren. In sehr vielen Lebensbereichen wird Unterstützung notwendig, z.B. Waschen, Toilettengang. Verhaltensauffälligkeiten und Inkontinenz können sich ausprägen. Die Namen von nahestehenden Personen können meist nicht benannt werden. Oft wird auf die wahrgenommenen Defizite sehr emotional, z.B. mit Zorn, Auflehnung oder Verzweiflung, reagiert.
In diesem Stadium wird die Pflege sehr aufwendig und die Pflegenden stossen an die Grenze der Belastbarkeit. Die beanspruchten Dienstleistungen sind entsprechend gewählt.
Dienstleistung | Dauer in Min | Transport in Min | Kosten Teilnahme | Transport- kosten (CHF 0.70/Km) | Regenerations- zeit | Kosten Regeneration- stunde |
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Montag | Eigenbetreuung | ||||||
Dienstag | Alzheimer Gipfeltreffen | Eigen hin und zurück 30 | Mittagessen CHF 20 Betreuung CHF 75 Fremdfinanzierung CHF 25 Eigenfinanzierung CHF 70 | CHF 77/4.5 = CHF 17.10 | 5 Std – 0.5 Std Transportzeit = 4.5 Std | CHF 77/4.5 = CHF 17.10 |
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Mittwoch | Eigenbetreuung | ||||||
Donnerstag | Eigenbetreuung | ||||||
Freitag | Betreuung ausser Haus mit 2 Übernachtungen | 900 (09.00 – 24.00) | Pro Tag Hotellerie CHF 169 Pflege CHF 135 Total CHF 304.85 Fremdfinanzierung Gemeinde CHF 69.25 Krankenkasse CHF 45.00 Eigenfinanzierung CHF 190.60 | 50 x CHF 0.70 = CHF 3.50 | |||
Samstag | Betreuung ausser Haus mit Übernachtung | 1440 (00.00 – 24.00) | |||||
Sonntag | Betreuung ausser Haus | 1020 (00.17.00) | Eigen zurück 15 Min | Eigenfinanzierung für 3 Tage 3 x CHF 190.60 = CHF 571.80 | 50 x CHF 0.70 = CHF 3.50 | 40 Std. (56 Std- 2 x 8 Std Nachtruhe). Nachtruhe wird nicht bewusst als Regenerationszeit empfunden. | 578.80/40 = CHF 14.47 |
Die Tabelle zeigt auch wie teuer die Regeneration bei auswärtiger Betreuung erkauft werden muss. Die Entlastung des direkt betroffenen Betreuers für den Dienstag und Freitag bis Sonntag kostet zusammen CHF 655.80. Pro Monat sind das etwas mehr als CHF 2630.
In diesem Beispiel beträgt die wöchentliche Regenerationszeit 44.5 Stunden. Die Betreuung mit Übernachtung findet in der Sonnweid Wetzikon statt. Es ist die ideale Kombination von Patientenbetreuung und Angehörigenentlastung.
Die beiden Betreuungsbeispiele zeigen, wie dynamisch der Betreuungsprozess sein kann und wie wichtig und anspruchsvoll die periodische Überprüfung des Wohlbefindens sowohl des Patienten als auch der betreuenden Angehörigen ist.
Wenn der Eindruck entstanden ist, dass das Finanzielle doch recht stark betont wird, entspricht das auch der Realität. Alle Bemühungen, Entlastung für die Angehörigen zu schaffen, scheitern an der Finanzierung. In der Politik gibt es zahlreiche Themen, die für den Stimmbürger attraktiver sind als Demenzbetreuung. Finanzierung von Bildung, Umwelt und Infrastruktur sind Investitionen in die Zukunft. Mit dem Thema Demenzbetreuung ist politisch kein Blumentopf zu gewinnen.
Die Situation enthält 2 unbegreifliche Widersprüche:
- es gibt viele von Experten entwickelten nicht-medikamentöse Dienstleistungen für Demenzpatienten, die sich aber fast niemand leisten kann und den Angehörigen wenig Entlastung, wenn nicht sogar zusätzlichen Stress bringen.
- Minderbemittelten erhalten kaum finanzielle Unterstützung für Betreuungsdienstleistungen. Sie können sich keine Regenerationszeit kaufen und müssen sich aus Selbstschutz viel früher für eine Heimeinweisung des Demenzpatienten entscheiden. Die von der Politik vermeintlich erzielte Einsparung erweist sich jetzt als Trugschluss. Statt Unterstützung zur Verzögerung der Heimeinweisung darf von nun an der Steuerzahler die exorbitanten Kosten des Pflegeheimes (zwischen CHF 7000.- und CHF 9000.-) übernehmen.
Bereits in 2006 konnte in New York in einer Studie nachgewiesen werden, dass mit einer psychosozialen Intervention für pflegende Angehörige die Heimeinweisung um 15 Monate verzögert werden konnte:
http://demenz-starthilfe.ch/wp-content/uploads/2019/10/Mittelman-Improving-caregiver-well-beeing.pdf
Die zugehende Beratung der Pro Senectute Kanton Aargau berät laufend ungefähr 200 Patienten und schätzt, dass sie mit ihrer Arbeit eine Heimeinweisung im Schnitt um 12 Monate verzögern.
Man rechne!!